Brief
des KLRÖ zur Beihilfe zur Selbsttötung an den Gesetzgeber
Betrifft:
Entscheidung des VfGH vom 11. 12. 2020 zur Frage „Beihilfe zur Selbsttötung“
Wien,
4. Jänner 2021
Der Katholische Laienrat ist sehr bestürzt über die
Entscheidung des VfGH, die Beihilfe zur Selbsttötung für straffrei zu erklären.
Er kann die mit Berufung auf ein umstrittenes Begriffsverständnis von
Selbstbestimmung (Autonomie) gefasste Entscheidung nicht verstehen, dass das
Verbot der Beihilfe „einen besonders intensiven Eingriff in das Recht des
Einzelnen darstellen (kann)“. Damit wird der Grundsatz (und der bisher in Österreich
geltende parlamentarische und in einer Enquete bestätigte Konsens), dass ein
Mensch nicht „durch die Hand anderer Menschen“ sterben darf, grundsätzlich
eingeschränkt. Maßnahmen, die den Tod eines Menschen/eines Patienten zum
direkten Ziel haben, sind nach Meinung des KLRÖ als ethisch nicht vertretbar
abzulehnen.
Handlungen, die etwa die Schmerzlinderung als eindeutiges Ziel haben und den
Tod "bloß" in Kauf nehmen, sind zwar ethisch verantwortbar; eine
Abwägung zwischen dem Grad der Schmerzlinderung und der gleichzeitigen
Verkürzung des Lebens ist jedoch unbedingt erforderlich. Lebensverlängernde
Maßnahmen müssen nicht immer Priorität haben. Patientenautonomie und -verfügung
stellen sicher, dass jeder/jede eine Behandlung verweigern kann, auch wenn durch
das Unterlassen einer nicht mehr angemessenen medizinischen Maßnahme Sterben
zugelassen wird.
Unverzichtbar ist auch die Respektierung der Würde und Selbstverantwortung
der angesprochenen Mithelfer, die durch die neue Rechtslage gefährdet
erscheint. Diese werden durch die neue Rechtslage in eine zwiespältige
Situation gebracht. Im Besonderen dürfen Ärztinnen und Ärzte nicht dazu
gezwungen oder gedrängt werden, gegen ihr Gewissen zur Tötung eines Menschen
beizutragen. Auch ein Sterbender darf nicht ethisch rechtfertigbar einen
anderen Menschen veranlassen, unethisch zu handeln.
Wenn nun die sehr differenzierte österreichische
Rechtsprechung in diesem Bereich durch die Straffreiheit der Beihilfe zur
Selbsttötung grundlegend verändert werden soll, besteht die Gefahr, dass dann
Suizidhilfe als „Normalfall“ der Sterbebegleitung gesehen wird. Um das zu
verhindern, müssen jetzt klare und eindeutige Bedingungen und Begründungen für
Straflosigkeit festgelegt werden. Bei der notwendigen, aber schwierigen Abgrenzung
der zur Anforderung der Beihilfe zur Selbsttötung berechtigten Personen müssen
allerdings schwer festzustellende und rechtlich schwer fassbare Tatbestände
definiert werden: z. B. „unheilbare Krankheit“, „fehlende Lebensqualität“
„begrenzte Lebenserwartung“, „ernsthaftes Verlangen“ (des Patienten). Es kann
ja doch nicht Intention des VfGH sein, bei jeder beliebigen vorgebrachten
Begründung für das Verlangen nach Beihilfe zur Selbsttötung (z. B. aus
Liebeskummer, Verzweiflung, Lebensmüdigkeit oder psychischer Erkrankung wie
Depression) diese Beihilfe straffrei zu stellen.
Bei einer vom VfGH verlangten neuen gesetzlichen Regelung
geht es vor allem darum, abzuwägen zwischen dem Schutz gegen einen
Rechtfertigungsdruck auf eine große Anzahl von Menschen, die trotz eines
schweren Leidens oder einer Behinderung weiter leben wollen, sowie ihrem Schutz
vor finanziellen und anderen Interessen ihres Umfeldes, und andererseits dem
Schutz von vermutlich wenigen Menschen, die straffrei bleiben wollen, wenn sie
aus schwer objektivierbaren oder einfach nur subjektiv als ethisch
gerechtfertigt empfundenen Motiven bei der Selbsttötung behilflich sind.
Die Erfahrung zeigt, dass der Wunsch, nicht mehr zu leben
bedeutet, nicht mehr so wie aktuell zu leben. Also nicht mit Schmerz,
mit Symptomen, und vor allem nicht im Bewusstsein, von anderen als Belastung
empfunden zu werden. Die Senkung der Schwelle der Straffreiheit für den
assistierten Suizid wird gerade letzteres massiv verstärken.
Aus diesen Gründen sind die Möglichkeiten des Missbrauchs
unter Verwendung vorgeschobener Begründungen und die Erfahrungen mit der
Freigabe dieser Maßnahme in anderen Ländern, die zu großer Vorsicht mahnen (z.
B. Zunahme der Fälle, Ausweitung und Aufweichung der Begründungen, gewerbliche
Nutzung), zu erforschen, zu berücksichtigen und möglichst zu vermeiden.
Des Weiteren ist die permanente Begleitforschung zu diesen
Entwicklungen gesetzlich zu verankern. Die Ergebnisse dieser Begleitforschung
sind dem Gesetzgeber regelmäßig vorzulegen, damit entsprechende notwendig
werdende Gesetzesänderungen eingeleitet werden können.
Jedenfalls ist der schon lange und auch vom VfGH geforderte
flächendeckende und ausreichend dotierte Ausbau der Palliativ- und
Hospizversorgung dringend sicherzustellen.
Der KLRÖ fordert Sie auf, die vom VfGH geforderten
gesetzlichen Änderungen mit größter
Vorsicht, mit gebührender Sorgfalt, vollem Verantwortungsbewusstsein für die
weitreichenden Konsequenzen dieser Neuerungen und unter Berücksichtigung der
hier angeführten Argumente zu erarbeiten.
Für
den Katholischen Laienrat Österreich
HR Mag. Wolfgang Rank