
Wien: "Lichter der Hoffnung" bei Gedenkgottesdienst im Stephansdom
Mit einem Gedenkgottesdienst im Wiener Stephansdom hat das offizielle Österreich am Donnerstagabend zum Ende der dreitägigen Staatstrauer der Toten des Amoklaufes in Graz gedacht. Der Gottesdienst fand in christlicher Gastgeberschaft mit Vertretern der Kirchen und Religionsgemeinschaften statt. Erzbischof Franz Lackner, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, stand dem Gottesdienst vor. An seiner Seite waren u.a. der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl, der evangelische Bischof Michael Chalupka, der orthodoxe Metropolit Arsenios (Kardamakis) und der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ümit Vural.
Das offizielle Österreich wurde an erster Stelle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen repräsentiert. Die gesamte Bundesregierung mit Bundeskanzler Christian Stocker, Vizekanzler Andreas Babler und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger an der Spitze war ebenfalls vertreten.
Der Wiener Apostolische Administrator Josef Grünwidl sagte in seinen Begrüßungsworten: "Die Staatstrauer endet heute um 19 Uhr mit diesem Gottesdienst, doch die Wunden, die die schrecklichen Ereignisse bei den Freunden, Lehrern und Menschen aufgerissen haben, bleiben. Gott sei aber da, "um in unsere Dunkelheit ein Licht der Hoffnung zu bringen", fuhr Grünwidl fort, "dort, wo wir sind, und wenn Menschen leiden, dann ist Gott im Leiden. Er lässt uns nicht im Stich, auch nicht in der Verzweiflung, nicht im leisen Weinen und auch wenn wir unsere Klagen und unseren Schmerz hinausschreien", so Grünwidl. Gott sei da, "um in unsere Dunkelheit ein Licht der Hoffnung zu bringen".
Zehn auf Schulsesseln aufgestellte weiße Kerzen wurden für die Opfer des Amoklaufs von Schülerinnen und Schülern entzündet sowie von Vertretern des Staates und der Religionsgemeinschaften: von Bundespräsident Van der Bellen, Bundeskanzler Stocker, Bildungsminister Christoph Wiederkehr sowie von Bischof Krautwaschl, Metropolit Arsenios, Bischof Chalupka und Präsident Vural. Administrator Grünwidl stellte im Anschluss eine weitere brennende Kerze für den Täter zu Füßen der Stühle auf.
"Einer trage des anderen Last"
Erzbischof Lackner hielt in seiner Schriftdeutung fest: "Wir sind zusammengekommen, um zu beten, unsere Herzen zu Gott zu erheben. Es ist eine Zeit des Klagens gekommen, jedoch nicht ohne Zuspruch und Hoffnung." In Bezugnahme auf die Worte der Schriftlesung "Einer trage des anderen Last!" bemerkte Lackner, dass in Österreich in der Trauerzeit ein merkliches Zusammenrücken stattgefunden habe. "Wir haben eine gemeinsame Aufgabe und Verantwortung für das Gelingen von Leben neu gespürt", so der Erzbischof. Es gehe nun darum, "im Antlitz des anderen den Bruder, die Schwester und nicht den Feind zu sehen".
Lackner zitierte den deutschen Bischof Joachim Wanke. Dieser habe einst die "Werke der Barmherzigkeit" ins alltägliche Miteinander übersetzt, wo es darum gehe, den Menschen, besonders den Leidenden und Trauernden zuzusprechen: "Ich höre Dir zu! Ich rede gut über dich! Ich teile mit Dir! Ich trage deine Last. Ich gehe ein Stück mit dir!" Und: "Ich bete für dich!" - Das, so Lackner, "schulden wir unseren lieben Brüdern und Schwestern in großer Not. Dazu drängt uns die Sehnsucht. Dazu will Hoffnung beseelen."
Die Hoffnung bezeichnete der Erzbischof als die "demütigste Gestalt des Glaubens". Sie stelle sich dort ein, "wo Glaube sein Schauen und vor allem das Vertrauen verloren hat", was angesichts derartiger Ereignisse nur allzu verständlich sei, so der Vorsitzende der Bischofskonferenz: "Wir nehmen Anteil und wir hoffen, Licht möge das Dunkel der Nacht vertreiben; Lebensfreude wieder zurückkehren." Für die Verstorbenen gelte die biblische Verheißung: "Gott selbst wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal."
Christliche Gebete und Koranrezitation
Bischof Chalupka nahm in einem Gebet Bezug auf die vor dem Volksaltar des Domes aufgestellten Sessel, die nun "immer leer" bleiben würden. Die Hilflosigkeit und der Schmerz würden ein Gefühl der Wehrlosigkeit hinterlassen. Dennoch, hieß es in seinem Gebetstext, möge Gott "die Antwort auf alle Fragen" sowie "Licht in unseren Dunkelheiten" sein.
Imam Ermin Sehic rezitierte Verse aus dem Koran, in denen die Hoffnung auf ewiges Leben bei Gott zum Ausdruck kommt.
In den Abschlussworten rief Administrator Grünwidl dazu auf, "nach Vorne zu schauen und aufeinander zu schauen". Es gelte mehr denn je, "aufmerksam und wach" zu leben und "das Wir über das Ich zu stellen, das Gespräch nie abreißen zu lassen und still zu hoffen, dass das Gute siegt". Der Glaube an Gott liefere zwar nicht immer einleuchtende Antworten oder Erklärungen, sehr wohl aber "Aussicht und Perspektive für unseren Weg", so der Diözesanleiter, denn es gelte: "Hass und Gewalt haben nicht das letzte Wort." Gott allein habe dieses - "und das heißt Leben in Fülle - ewiges Leben".
Spitzen aus Religion und Staat
Vonseiten der Kirchen waren u.a. Militärbischof Werner Freistetter, der evangelische Superintendent der Steiermark, Wolfgang Rehner, der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs, der russisch-orthodoxe Bischof Aleksij (Zanochkin) und der syrisch-orthodoxe Chorepiskopos Emanuel Aydin zum Gottesdienst gekommen; weiters Hirte Walter Hessler von der Neuapostolischen Kirche, der Präsident des Bundes der Baptistengemeinde, Pastor Dietrich Fischer-Dörl, Ostkirchen-Generalvikar Yuriy Kolasa, der rumänisch-orthodoxe Bischofsvikar NIcolae Dura sowie Vertreter der Koptischen Kirche.
Neben Bundespräsident und Bundesregierung waren u.a. auch Nationalratspräsident Walter Rosenkranz, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, die Landeshauptleute Johanna Mikl-Leitner und Wilfried Haslauer und FP-Parteichef Herbert Kickl gekommen. Auch hochrangige Vertreter aus dem Sicherheitsapparat wie der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, sowie der steirische Landespolizeidirektor Gerald Ortner, Vertreter des Roten Kreuzes und weiterer Einsatzkräfte waren zugegen. Mitglieder der Notfallseelsorge lasen die Fürbitten.
Schwerster Amoklauf Österreichs
Am Dienstag hatte sich in Graz der schwerste Amoklauf in der Geschichte Österreichs ereignet. Gegen 10 Uhr betrat ein 21-jähriger ehemaliger Schüler das Bundesoberstufenrealgymnasium (BORG) Dreierschützengasse und eröffnete in zwei Klassenräumen das Feuer. Bewaffnet mit einer Pistole und einer Schrotflinte, tötete er zehn Menschen, darunter neun Schüler und eine Lehrkraft, bevor er sich in einem Toilettenraum selbst das Leben nahm. Mindestens zwölf weitere Personen wurden verletzt, einige davon schwer. Die österreichische Regierung bezeichnete den Vorfall als "Nationale Katastrophe" und ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Diese ging am Donnerstag mit Abschluss des Gottesdienstes um 19 Uhr zu Ende.
Quelle: kathpress