
Sozialethiker Sedmak: Geburt ist ein Lotteriespiel
Welche Ressourcen sind notwendig, damit ein Baby gut ins Leben starten kann? Diese Frage steht im Zentrum der bereits vierten "Early Life Care Konferenz", die vom Freitag bis Sonntag im Salzburger Bildungszentrum St. Virgil stattfindet. Der Sozialethiker Clemens Sedmak, der zur Eröffnung am Freitagabend den öffentlichen Impulsvortrag hält und anschließend an einem Podiumsgespräch teilnimmt, hat schon vorab in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (21. Mai) entscheidende Faktoren für einen guten Lebensbeginn beleuchtet.
Dem renommierten Sozialethiker zufolge sind neben den offensichtlichen materiellen Ressourcen wie einer guten medizinischen Infrastruktur, die etwa die Qualität und Ausstattung von Krankenhäusern umfasst, auch immaterielle Faktoren von großer Bedeutung. Dazu gehören die Bindung zu den Eltern oder anderen Bezugspersonen sowie die Möglichkeit, ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln. Unterschätzt werden oft unsichtbare Ressourcen wie der soziale Status eines Kindes, der sich etwa in der Frage widerspiegelt, ob das Kind gewollt ist oder nicht.
Der früher in Salzburg lehrende Professor für Sozialethik an der University of Notre Dame (USA) hebt hervor, dass besonders für die Entwicklung eines Kindes die Lebenssicherheit und ein Grundvertrauen in das Leben von zentraler Bedeutung sind. "Es ist leichter, mit einer stabilen Elternbeziehung in ein schwieriges Umfeld zu treten, als mit einer belasteten Elternbeziehung in ein leichteres Umfeld", erklärt Sedmak.
"Geburtslotterie"
Doch dieser Start ins Leben ist nicht für alle Menschen gleich. Die Geburtsumstände variieren weltweit erheblich. Sedmak spricht von einer "Geburtslotterie", die darüber entscheidet, unter welchen Lebensbedingungen ein Kind aufwächst. Ein Baby, das etwa in der umkämpften Ostukraine oder in einem kriegsgeplagten Land wie Syrien zur Welt kommt, hat von Beginn an schlechtere Ausgangsbedingungen als ein Kind in Österreich. Diese Unterschiede, so Sedmak, sind Ausdruck eines internationalen Ungleichgewichts, das dringend mehr Solidarität erfordert, jedoch oft übersehen wird.
Besorgt zeigt sich Sedmak auch über den Rückzug vieler Staaten aus der internationalen Solidarität. Die zunehmende Kürzung von Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit - etwa bei der US-Behörde USAID - sei Teil eines globalen Trends hin zu national ausgerichteten Politiken. Leidtragende seien insbesondere die Schwächsten: ungeborene und neugeborene Kinder in Ländern des Globalen Südens. In einer Welt mit immer mehr Krisenherden sei internationale Solidarität wichtiger denn je, betont Sedmak, nicht zuletzt im Interesse kommender Generationen auch in Europa.
Immer mehr Kaiserschnittgeburten
Ein weiteres Thema, das der Sozialtheoretiker aufgreift, betrifft die zunehmende Zahl an Kaiserschnitten weltweit. In Österreich beispielsweise kommen rund ein Drittel aller Babys per Kaiserschnitt zur Welt, während die Zahl in Ländern wie Brasilien oder Mexiko mit bis zu 55 Prozent noch höher liegt. Diese Entwicklung wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, darunter auch die Planungssicherheit, die Kaiserschnitte für die werdenden Mütter bieten. Oft wird der Kaiserschnitt als eine "moderne" und "fortschrittliche" Methode betrachtet, die eine präzise Steuerung des Geburtszeitpunkts ermöglicht.
Doch Sedmak warnt vor den möglichen psychischen Folgen dieser Praxis: "Was man sich unter Schmerzen angeeignet hat, hat eine gewisse Kostbarkeit, die sonst nicht da ist." Wenn die Geburt zu sehr auf eine technische Abwicklung reduziert wird, könne dies die sofortige Bindung zwischen Mutter und Kind beeinträchtigen, die für die gesunde Entwicklung des Kindes von entscheidender Bedeutung ist. Möge ein Kaiserschnitt in bestimmten Fällen medizinisch auch notwendig sein, sei die hohe Rate an geplanten Kaiserschnitten somit dennoch problematisch.
Im Rahmen der 4. Early Life Care Konferenz gibt es nach dem Eröffnungsvortrag Sedmaks am Freitagabend unter dem Titel "Was braucht es für einen guten Start ins Leben?" ein Podiusmgespräch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Medizin, Psychotherapie, Gesundheitsverwaltung und Frühförderung. Bei der anschließenden Konferenz, die von der Paracelsus Medizinischen Universität Salzburg und St. Virgil organisiertwird, erarbeiten Fachleute verschiedener Disziplinen Herausforderungen und konkrete Wege zur Unterstützung von Familien und Kindern. Auch der Ressourcenmangel, professionelle Haltung und die Lebenswelt unter dem Einfluss globaler Veränderungen werden dabei thematisiert. (Infos: https://www.virgil.at/bildung/veranstaltung/ressourcen-am-lebensbeginn-25-0279/)
Quelle: kathpress